Die türkische Soziologin Pinar Selek greift mit Vorliebe unbequeme Themen auf und hat dafür auch Haft und Folter auf sich genommen. Mit der Wiederaufnahme einer gravierenden, doch längst als nichtig beigelegten Anschuldigung wurde sie Ende 2009 ins Exil getrieben.
Brigitte Neumann
Die 38-jährige Pinar Selek wirkt abgekämpft, wie sie da auf ihrem Sofa sitzt. «Ich lebe derzeit in einem Albtraum und finde nicht heraus.» Das Handy meldet dezent, aber pausenlos den Empfang von SMS-Nachrichten. Gestern war sie noch in Wien. Davor in Paris, Bonn, Hamburg, Essen, Berlin. Sie füllt inzwischen jeden Saal. Pinar Selek reist durch Westeuropa und versucht öffentlichen Druck aufzubauen, Druck in eigener Sache. Sie hofft, dass er in Ankara wirksam wird, wo der oberste türkische Gerichtshof ihre vor Jahren geschlossene Akte wieder öffnen wird. Die Anklage lautet auf Landesverrat und Staatsgefährdung. Ihr droht eine Verurteilung zu 36 Jahren verschärfter Einzelhaft.
Gefährliche Recherchen
Heute bestreitet sie einen Abend in Berlin. «Immerhin werde ich hinterher im eigenen Bett schlafen.» Aber eigentlich ist es nicht das eigene, sondern ein Leihbett in einer Leihwohnung, angemietet vom deutschen Schriftstellerverband PEN. Pinar Selek, die in der Türkei bekannte Soziologin und Ikone der dortigen Demokratiebewegung, trägt jetzt den Titel «Writer in Exile». «Ich halte diese Situation aus, weil ich nicht allein bin. Die Liebe meiner Freunde trägt mich durch diese schwere Zeit.» Wir erinnern uns bei diesen Worten an einen Abend in Bonn: «Ich darf Ihnen die berühmteste türkische Feministin vorstellen, Pinar Selek», sagte der Moderator, umarmte sie lachend und fügte an: «Wir lieben sie nich