Foto: Amélie Losier
PINAR SELEK Sie schreibt über Militär, Sexualität und die Kurdenpolitik. Jetzt droht ihr das Gefängnis – mal wieder
VON CIGDEM AKYOL
„Meine Verfolgung durch die türkische Justiz soll ein Signal an andere Intellektuelle sein:
Wennsie politisch aktiv werden, dann werden sie so enden wie ich“, sagt die Feministin Pinar Selek
2009-08-05 - TAZ
Aneinem TagimJahre 1998wendete sich für Pinar Selek das Leben unwiderruflich. Die Soziologin, Schriftstellerin, Friedensaktivistin und Feministin rutschte in ein nicht endendes Dilemma. Wer einmal in das Räderwerk der türkischen Justiz gerät, kommt schwer wieder heraus. An dem Tag, dem 9. Juli, kam es im Misir Carsi, einem Basar in Istanbul, zu einer Explosion. Der Markt glich einem Schlachtfeld: Zusammengestürzte Wände, zerborstene Regale, überall Scherben und Blut. Sieben Menschen wurden
getötet und über 120 verletzt. Selek wurde verhaftet und bezichtigt, den Anschlag imNamen der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) durchgeführt zu haben. Seitdem wird sie von der Justiz verfolgt.
Heute, elf Jahre später, lebt sie in Köln im Exil, hat ein Stipendium der Heinrich-Böll Stiftung und schreibt an ihrem ersten Roman, „über die Liebe und die Suche“, sagt sie auf Türkisch. Danach geht sie nach Berlin mit einem Stipendium des PEN International. In die Türkei kann sie nicht zurück, dort droht ihr die sofortige Verhaftung. Fühlt sie sich sicher in Deutschland? „Natürlich sicherer als in der Türkei, aber insgesamt fühle ich mich nirgends sicher.“ Warum? „Weil ich eine Frau bin, weil ich ein radikaler Mensch bin.“
Die 38-Jährige ist eine kleine Frau mit braunen Locken, zusammengehalten durch eine Spange mit lila Blumen, um ihren Arm trägt sie ein Muschelarmband, und weil sie gerne lacht, wirkt sie auf den ersten Blick wie eine Frau, die fröhlich dahinlebt. Tatsächlich täuscht dieser erste Eindruck. Schon zu Beginn des Gesprächs schaltet sie auf Kampf, ihr Ton wird rau. Wo war sie während der Explosion1998? „Ichwerde diese Frage nicht beantworten. Man darf sie mir nicht stellen, ich akzeptiere es nicht“, entgegnet sie und schiebt hinterher: „Selbst vor Gericht habe ich diese Frage nicht beantwortet. Ich habe zu dieser Zeit in der Kurdenfrage recherchiert. Auchunter Folterhabe ich die Menschen, die mir vertrauen, nicht verraten.“ Den Rest des Gesprächs sitzt siedawie eine spannungsgeladene Sprungfeder.Man rechnet nun in jeder Sekunde damit, dass sie entgegnet: „Mir gefallen die Fragen nicht“, das Interview für beendet erklärt, dass sie aufsteht und geht. Aber dann bleibt sie doch.
Wie geht es einer Frau, deren Werkzeug das Wort ist, die nach Deutschland kommt und plötzlich nichts mehr versteht? „Ich vermisse die Türkei sehr, dort sind die Menschen, die ich liebe, meine Arbeit“, sagt Selek.Wie ein schweres, melancholisches Parfüm hängt die Erinnerung an Istanbul in der Luft. Eigentlich müsste sie ihr Land verfluchen, aber dann wäre sie heimatlos. Das will sie nicht, im Gegenteil: Sie erzählt von den Menschen, die sie unterstützten. Personen, die sonst nie zueinandergefunden hätten – Homosexuellen, Islamisten, Kemalisten.
Widerstand in den Genen
Vor der Explosion arbeitete Selek in Istanbul mit Straßenkindern zusammen und schrieb erfolgreiche Bücher über die Gewalt gegen Transvestiten, Feminismus, Militarismus und Politik. Sie hat gesellschaftlich brisante Studien durchgeführt, darunter eine zum Vorgehen der Streitkräfte Ankaras im Siedlungsgebiet der türkischen Kurden. Sie ist natürlich vorgewarnt. Denn die Türk
|
|