Pınar Selek
Mehrfach unschuldig




Und dennoch angeklagt: Pinar Selek soll vor Gericht

Und wieder soll die türkische Soziologin und Autorin Pinar Selek vor Gericht. Wieder droht ihr eine lebenslange Haftstrafe. Für ein Vergehen, von dem sie schon zweimal freigesprochen wurde. Für eine Anklage, gegen die zuletzt sogar die Staatsanwaltschaft in Ankara Widerspruch einlegte, weil es keinerlei Anzeichen für eine Täterschaft Seleks gibt. Und als ob das noch nicht reichte: Es gibt sogar ernste Zweifel, ob die Tat, die zur Verhandlung steht, jemals stattgefunden hat. Aber die Spitze der türkischen Justiz zeigte sich diese Woche in alter Verbissenheit: Der Strafrat des Kassationsgerichtes setzte sich über den Widerstand der eigenen Staatsanwälte hinweg und ordnete ein neues Verfahren an.

Pinar Selek, so die Anklage, soll eine Bombe gelegt haben. Für die kurdische Rebellengruppe PKK. Am 9. Juli 1998 kamen bei einer Explosion im Istanbuler Gewürzbasar sieben Menschen ums Leben. Selek wurde danach verhaftet, gefoltert, saß zweieinhalb Jahre im Gefängnis. Ein Polizeizeuge hatte sie belastet. Bloß: Der Mann hatte unter Folter ausgesagt. Und gleich mehrere Gutachten kamen zu dem Ergebnis: Es gab gar keine Bombe - es war eine Gasflasche explodiert. Vor ein paar Monaten erst enthüllte die liberale Zeitung Taraf die Autorin des einzigen Gutachtens, das von einer Bombe sprach und somit Selek zum Verhängnis wurde: die Forensikprofessorin Sevil Atasoy von der Istanbul Universität - Atasoy aber war Taraf zufolge über Jahre hinweg als Spitzel des Militärs an der Universität tätig und soll dort Berichte über Kollegen verfertigt haben.

Pinar Selek, das ist die Überzeugung ihrer vielen Unterstützer (es gab Solidaritätsadressen von Orhan Pamuk bis Claudia Roth), war vor allem in die Mühlen des Apparates geraten, weil sie als Bürgerrechtlerin und Autorin linker, feministischer, antimilitaristischer Texte aus der Reihe tanzte. Zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung 1998 recherchierte sie über die PKK. Die 1971 geborene Selek hält sich seit einiger Zeit in Deutschland auf: letztes Jahr in Köln auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung, im Moment ist sie Stipendiatin des deutschen PEN in Berlin. Ihr jüngstes Buch widmet sich der türkischen Armee. Auf Deutsch wird es im März im Orlanda Verlag erscheinen unter dem Titel "Zum Mann gehätschelt, zum Mann gedrillt".

KAI STRITTMATTER


© sueddeutsche.de - erschienen am 13.02.2010 um 03:15 Uhr

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Mahkeme Süreci Court Process