Pressemitteilung, Darmstadt, 8.7.2022. Viermal wurde die Soziologin, Publizistin und Feministin Pınar Selek über Jahre angeklagt und immer wieder freigesprochen vom Terrorverdacht und dem Vorwurf, sie sei am Bombenanschlag auf den „Spice Bazar“, den ägyptischen Basar in Istanbul, beteiligt gewesen. Nun soll der jüngste Freispruch widerrufen werden, auf der Basis falscher Anklagen und gefälschter Dokumente. In Wahrheit, so Selek, sei ein Gasleck Ursache der Explosion auf dem Markt gewesen. Und sie sei nie angehört worden.
Das deutsche PEN-Zentrum unterstützt seine ehemalige Stipendiatin des PEN-Programms „Writers in Exile". Pınar Selek lebt heute in Frankreich. Sie schrieb über Geschlechteridentität, die Kurdenfrage und über fünfzehn Jahre Verfolgung und Exil (Frau im Exil, Orlando 2013). Der PEN besteht auf Anerkennung von Pınar Seleks Freispruch auf der Basis von Meinungsfreiheit, Gleichheit und Freiheit.
Im Juni gerieten fünfzehn Journalisten und Medienleute in Diyarbakır in Südostanatolien bei einer Polizei-Aktion in Untersuchungshaft. Ihre Kameras, Computer, Dokumente und das ganze Equipment wurden beschlagnahmt. Die Aktion wurde deklariert als Anti-Terror-Operation gegen die PKK, die den türkischen Behörden als terroristische Vereinigung gilt.
73 Intellektuelle stehen auf einer Liste von Oppositionellen und Intellektuellen in Schweden, deren Auslieferung die türkische Regierung mit einem Akt der Erpressung erzwingen will. Präsident Erdoğan macht die Zustimmung der Türkei zum NATO-Beitritt Schwedens abhängig von der Auslieferung dieser türkischen und kurdischen Dissidenten im schwedischen Exil. Unter den Wissenschaftlern und Journalisten ist auch der renommierte Verleger und Journalist Ragıp Zarakolu, der Bücher von politischen Gefangenen, zur Geschichte der Armenier und zur Kurdenfrage publizierte. 2013 konnte Zarakolu fliehen, längst ist er schwedischer Staatsbürger. Das Verfahren gegen ihn läuft seit 2011, sein Verlag Belge in Istanbul wurde von der türkischen Polizei gestürmt, sein Eigentum teilweise enteignet, seine Rente konfisziert. Die von Präsident Erdoğan erzwungene Kooperation europäischer Behörden mit dem türkischen Geheimdienst bringt die Opposition in größte Bedrängnis.
Der PEN Deutschland appelliert an Schwedens Regierung, die Auslieferungen, trotz allen politischen Drucks, auch künftig als unrechtmäßig abzulehnen. Ragıp Zarakolu ist Ehrenmitglied des deutschen PEN-Zentrums.
Die kurdische Poetin und Schriftstellerin Meral Şimşek steht am 18. Juli in Ipsala erneut vor Gericht, ihr drohen fünf Jahre Haft wegen „Betretens einer verbotenen Militärzone“, nachdem sie im Juni 2021 versucht hatte zu fliehen und an der griechischen Grenze in die Türkei zurückgedrängt worden war. In einem zweiten Verfahren wurde ihr „terroristische Propaganda“ zur Last gelegt. Das Urteil lautete ein Jahr und drei Monate Haft, das Berufungsverfahren dauert an. Die Anklage verwies auf ihre Erzählung in der Anthologie „Arzela“, worin zwölf kurdische Autor*innen von „einem eigenen Land“ im Jahr 2046 träumen. Am 9. September erhält Meral Şimşek in Österreich den Theodor-Kramer-Preis für ihr Schreiben im Widerstand. Ob sie reisen kann, ist ungewiss.
Zum kurdischen PEN-Kongress, der ab 8. Juli in Oldenburg stattfindet, kann Meral Şimşek nicht kommen. PEN Deutschland und PEN International fordern die türkische Justiz auf, Anklagen gegen Meral Şimşek fallenzulassen und die Freiheit des Wortes zu achten.
Auf der Basis des Anti-Terror-Gesetzes eliminiert Präsident Erdoğan seine Kritiker. Waren zu Beginn seiner Regierung 70 000 Menschen in Haft, sind es nun 300 000, bilanziert Burhan Sönmez, der Präsident des Internationalen PEN im Gespräch mit Cornelia Zetzsche, der Vizepräsidentin und Writers in Prison Beauftragten des PEN-Zentrums Deutschland. Und:
Turkey is just a small mirror of other countries. When I talk about Turkey that means I talk about Russia, about India about the Philippines about Brazil, about Hungary, because all those authoritarian populist politicians they are copying each other. So, we people on human rights side, people who defend freedom of expression, we can copy each other too, to fight more. If you send just a letter to someone in prison, that‘s a big action for him or for her. If you write an article, if you share something on your social media account, everything means something, action has no limit. This free word is the biggest action, we have to spread it. (Burhan Sönmez in: Der PEN Podcast, 7. Juli 2022)
Das PEN-Zentrum Deutschland unterstützt den kurdischen PEN in seinem Bemühen um Anerkennung der kurdischen Sprache in der Türkei und um 104 Oppositionelle in türkischen Gefängnissen. Heute beginnt der Jahreskongress in Oldenburg.
PEN International und der PEN Deutschland protestieren dagegen, Meral Şimşek erneut vor Gericht zu stellen. Adressat für Forderungen, die Anklage gegen Meral Şimşek fallen zu lassen und eine friedliche Lösung mit den Kurden des Landes zu suchen, sind die Türkische Botschaft in Berlin und der Justizminister der Türkei:
Bekir Bozdağ, Ministry of Justice, Adalet Bakanlığı, 06659 Ankara, Turkey oder: [email protected]
Für das PEN-Zentrum Deutschland
Cornelia Zetzsche
Vizepräsidentin/ Writers in Prison Beauftragte
Pressekontakt:
Felix Hille
PEN-Zentrum Deutschland e.V., Fiedlerweg 20, 64287 Darmstadt
Tel.: 06151/627 08 23; Mobil: 0157/31382637; Fax.: 06151/293414
E-Mail: [email protected]
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