Verfahren in der Türkei gegen "Staatsfeindin" eine "Kampagne" der Justiz gegen eine Frau: Folteropfer bricht Schweigen
Istanbul - Als die Polizisten kamen, dachte Abdülmecit Öztürk zuerst an mögliche Scherereien mit dem Handelsunternehmen, das ihn kurz vorher entlassen hatte. Aber es ging nicht um seinen Ex-Arbeitgeber. Es ging um den Tod von sieben Menschen bei einer Explosion mitten in Istanbul. Und die Polizei brauchte Schuldige, die sie der Öffentlichkeit präsentieren konnte.
Neues Verfahren gegen "Staatsfeindin"
So begann 1998 der Leidensweg von Öztürk und auch der von Pinar Selek, einer damals 27-jährigen Soziologiestudentin. Beide sagen, sie hätten nichts mit der Explosion im Gewürzmarkt in der Istanbuler Innenstadt zu tun. Beide wurden von den Behörden als StaatsfeindInnen eingestuft und gefoltert. Öztürk ist inzwischen ein freier Mann. Doch für Selek, die heute mit einem PEN-Stipendium in Berlin lebt und unter anderem Autorin des Buches "Zum Mann gehätschelt. Zum Mann gedrillt" ist, ist der "Alptraum", wie sie es nennt, trotz zweimaliger Freisprüche in den vergangenen Jahren noch nicht vorüber. Am Mittwoch begann in Istanbul ein neues Verfahren gegen Selek, die vom Obersten Berufungsgerichtshof der Türkei im November für schuldig befunden wurde. Am 22. Juni soll der Prozess fortgesetzt werden.
Es ist eine "Kampagne" der Justiz gegen eine Frau, die nach der Beweislage unschuldig sei, erklärte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) zum Auftakt. Wie diese Beweise zusammengetragen wurden, zeigen nun die Erinnerungen des ehemaligen Beschuldigten Öztürk. Er zeichnet ein erschreckendes Bild von Brutalität und Willkür.
"Ließen mich ein leeres Blatt unterschreiben"
Der aus dem ostanatolischen Agri stammende Öztürk geriet ins Visier der Polizei, nachdem ein als Mitglied der kurdischen PKK-Rebellen verdächtigter Verwandter festgenommen wurde und unter Folter Öztürk als PKK-Mitglied bezeichnete. Auch der Name von Selek, die als Studentin an einer Arbeit über die Kurdenfrage schrieb und mit mehreren Kurden gesprochen hatte, tauchte in dem Folterverhör auf.
Öztürk wurde anschließend ebenfalls von der Polizei gequält, wie er jetzt der Zeitung "Radikal" sagte. Er wurde an den sogenannten Palästinensischen Haken gefesselt, einem an der Decke befestigten Balken, und er wurde mit Stromstößen gefoltert. "Sie ließen mich ein leeres Blatt unterschreiben." Als er das Folter-Geständnis, in dem auch Selek genannt wurde, wenig später widerrief, wurde er erneut in die Mangel genommen, bis er ein neues unterzeichnete. Nach der Folter schrieben die Polizisten einen Bericht - in dem sie sich selbst bescheinigten, keine Gewalt angewendet zu haben.
Beweise manipuliert
Seine angebliche Bomben-Komplizin Selek sah Öztürk zum ersten Mal zu Beginn des Mordprozesses vor Gericht. Nach neuneinhalb Jahren im Gefängnis wurde er schließlich freigesprochen. Auch eine Aussage von Öztürks Tante, in der Selek belastet wurde, erwies si