Pınar Selek
WIENER GESPRÄCHE/09: Begegnungen am roten Rand Wiens - Teil 9 (SB)


Interview mit der türkischen Friedensaktivistin Pinar Selek

An der Podiumsdiskussion "Krise und Perspektiven sozialer Bewegungen in der Türkei", die anläßlich des Jubiläumsabends der marxistischen Zeitschrift Grundrisse am 10. Juni im Restaurant Etap in Wien stattfand, nahm die Friedensaktivistin Pinar Selek teil, die eigens dafür von Istanbul in die Hauptstadt Österreichs gereist war. Die Frauenrechtlerin ist in ihrem Heimatland und weit darüber hinaus bekannt, seit der türkische Staat sie bei ihrer Arbeit als Anthropologin und Soziologin wegen der vermeintlichen Unterstützung des "Terrorismus" massiv drangsaliert und erfolglos versucht, sie einzuschüchtern. Im Anschluß an die Grundrisse-Diskussion erklärte sich Selek bereit, am darauffolgenden Tag einige Fragen der Schattenblick-Redaktion zu ihrem Fall, ihrer Arbeit sowie zur aktuellen Lage in der Türkei zu beantworten. Sena Dogan, die Mitglied des Österreichisch-Türkischen Wissenschaftsforums ist und die ebenfalls an der Podiumsdiskussion teilgenommen hatte, bot an, nicht nur beim Gespräch die Rolle der Dolmetscherin zu übernehmen, sondern dafür auch noch ihre Wohnung zur Verfügung zu stellen. Deshalb möchte sich der Schattenblick an dieser Stelle bei Frau Dogan herzlichst bedanken, ohne deren großzügige Hilfe das folgende Interview nicht zustandegekommen wäre.

SB: Okay, wir beginnen mit einer ganz einfachen Frage. Was war der Anlaß für Sie, an der gestrigen Veranstaltung teilzunehmen?

Pinar Selek: Die Grundrisse haben mich eingeladen. (lacht)

SB: Sehr gut. (lacht ebenfalls) Gab es Schwierigkeiten bei der Ausreise aus der Türkei, wo doch Ihr Fall neu aufgerollt wird?

PS: Nein, es gab keine Probleme, denn ich habe schon lange einen Paß, der mit einem Langzeitvisum versehen ist, und mein Fall ist noch nicht soweit vorangeschritten, daß es zu einem Ausreiseverbot gekommen wäre. Zwar hat der Berufungsgerichtshof den Fall wieder aufgenommen, aber es gibt noch keinen Verhaftungsbeschluß. Eigentlich bin ich bereits zweimal freigesprochen worden, doch die Staatsanwaltschaft hat vor kurzem erneut Revision eingelegt.

Ich vergleiche meinen Fall manchmal mit dem von [Georgi Michailow] Dimitrow, dem man [1933 kurz nach der Regierungsübernahme durch die Nazis in Deutschland] den Reichstagsbrand angehängt hat. Im Juli 1998 hat man mich wegen des Vorwurfs, die PKK zu unterstützen, festgenommen. Im Zuge der Ermittlungen hat man eine Reihe von Verhafteten dazu gebracht, unter anderem im Fernsehen zu erklären, daß sie gemeinsam mit mir in Istanbul einen tödlichen Bombenanschlag durchgeführt hätten. Deswegen saß ich zweieinhalb Jahre im Gefängnis und wurde auch noch gefoltert. Zwar ist die damalige Explosion inzwischen längst aufgeklärt worden, denn es steht nach mehreren Gutachten fest, daß sie auf eine undichte Propangasflasche zurückging, doch die Staatsanwaltschaft verfolgt mich heute immer noch wegen der vermeintlichen Nähe zur PKK, was auf den Falschaussagen von damals basiert.

SB: Nun, der Vergleich mit dem Fall Dimitrow hinkt insofern, als daß das Abfackeln des Reichstages ein weltbewegendes Ereignis war, während die Explosion einer Propangasflasche, wenn auch tragisch, daß dadurch sieben Menschen das Leben verloren, eigentlich eine relativ kleine Sache gewesen ist. Von daher stellt sich die Frage, warum Ihr Fall so hochgehängt wird? Warum ist es für den türkischen Staat so wichtig, Ihnen das Leben sch

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Mahkeme Süreci Court Process